Vorreiter Berlin
Drei Jahrzehnte Regenwasser-Erfahrung

Regen als Ressource begreifen und nicht als etwas, das entsorgt werden muss. Das ist das Credo von Brigitte Reichmann. Im Gespräch erklärt uns die Technische Referentin der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen, warum Berlin in Sachen dezentrale Regenwasserbewirtschaftung beispielhaft vorangeht.

21. März 2019
Frau Reichmann, in Berlin ist dezentrale Regenwasserbewirtschaftung gerade ein großes Thema. Dabei hat das Land schon länger Erfahrungen damit gesammelt. Was waren für Sie wichtige Meilensteine?

Erste Projekte beschäftigten sich schon in den Achtzigerjahren mit dem Thema Regenwasser. Sie wurden im Rahmen des Forschungsprogramms Experimenteller Wohnungs- und Städtebau (ExWoSt) im Forschungsfeld Stadtökologie und umweltgerechtes Bauen entwickelt, durch Bundes- und Landesmittel gefördert und wissenschaftlich begleitet. Zu einem ersten Modellbeispiel für ökologische Gesamtkonzepte wurde damals der sogenannte Block 103 in Kreuzberg. Sanierung mit Weitblick, behutsame Stadterneuerung, Bürger:innenbeteiligung und umfassende Begleitforschung, nicht nur zu Wasserthemen, sind hier wichtige Stichworte.

Auch die Ökohäuser von Frei Otto im Tiergarten und der Block 6 in Kreuzberg, mit seinem integrierten Wasserkonzept, waren wegweisende Projekte. Schon damals ging es auch um die Nutzung von Regenwasser als Betriebswasser, etwa für die Toilettenspülung oder zur Bewässerung, wo keine Trinkwasserqualität benötigt wird. Erstmals wurden 1995 hygienische Parameter für die Betriebswassernutzung im Haushalt und in öffentlichen Gebäuden abgestimmt – ein echter Meilenstein und meines Wissens damals einzigartig.

»Erste Projekte beschäftigten sich schon in den Achtzigerjahren mit dem Thema Regenwasser.«

Brigitte Reichmann

Die diplomierte Bauingenieurin (TU Dresden) verfügt über vier Jahrzehnte »Bau- und Wasserwissen«. Sie war zunächst in den Bereichen stadttechnische Versorgungssysteme und Stadterneuerung tätig, bevor sie sich verstärkt dem ökologischen Bauen widmete. Seit 1991 ist sie als Technische Referentin beim Land Berlin beschäftigt. Sie vermittelt ihr Wissen unter anderem in Vorträgen und widmet sich dabei gern der Arbeit an Schulen und Hochschulen.

Das klingt nach wichtigen Pilotprojekten. Welche nächsten Schritte wurden in Berlin unternommen, um die dezentrale Bewirtschaftung von Regenwasser weiter zu befördern?

Auf Landesebene haben wir von 1988 bis 2001 ein Programm für stadtökologische Modellvorhaben aufgelegt. Hier standen die Erprobung neuer Technologien und das Projektmonitoring im Vordergrund, etwa wie Regenwasser zur Gebäudekühlung beitragen kann. Ein Beispiel ist das Monitoring des Instituts für Physik in Adlershof, wo das Thema der Regenwasserbewirtschaftung unter anderem in Vernetzung mit den Themen Gebäudebegrünung und Energieeffizienz betrachtet wurde.

Fassadenbegrünung am Institut für Physik in Berlin-Adlershof

Auch die Weiter- und Umnutzung von Gebäuden unter ökologischen Aspekten war ein Schwerpunkt. So entstand beispielsweise der Gewerbehof der WeiberWirtschaft eG, der auch in unserem Ökologischen Stadtplan aufgelistet ist. Bei allen Projekten war und ist uns bis heute der Praxisbezug wichtig, sozusagen Forschung am lebenden Objekt unter realen Bedingungen zu betreiben. Wir setzen überdies auf gezieltes Monitoring, für eine fortlaufende Optimierung der Projekte und Anlagen. Wichtig war in Berlin auch die Einführung des Niederschlagswasserentgelts im Jahr 2000, was ein Umdenken nach sich zog.

»Bei allen Projekten war und ist uns bis heute der Praxisbezug wichtig, sozusagen Forschung am lebenden Objekt unter realen Bedingungen zu betreiben. «
Ökologische Gesamtkonzepte als Grundlage für nachhaltiges Bauen stehen in einer wachsenden Stadt wie Berlin zunehmend im Fokus. Welche Rolle spielt dabei die Regenwasserbewirtschaftung?

In den letzten Jahren ist dezentrale Regenwasserbewirtschaftung immer mehr zu einem Themenschwerpunkt geworden. Denn Regenwasser beeinflusst nicht nur die Gewässerqualität und die Betriebskosten, sondern auch die anderen vier Bausteine des ökologischen Gesamtkonzepts – Energie, Grün, Baustoffe und Abfall. Alle fünf sind vernetzt zu betrachten, stehen zueinander in Wechselwirkung, mitunter auch in Konkurrenz.

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Bausteine gehören zum ökologischen Gesamtkonzept: (Regen-)Wasser, Energie, Grün, Baustoffe und Abfall

Regenwasser hat ebenso mit Gebäudebegrünung zu tun, wie beispielsweise als Ressource bei der Betriebswassernutzung. Zugleich muss ich Regenwasser mit Altlasten und Baustoffen zusammendenken, denn beide wirken sich unmittelbar auf die möglichen Maßnahmen der Regenwasserbewirtschaftung aus. Es ergeben sich zum Beispiel spezielle Anforderungen an die Wartung und Pflege von Anlagen, etwa bei der Nutzung von Düngern oder Pestiziden.

 

Umso entscheidender ist es, immer wieder auf mögliche Wechselwirkungen hinzuweisen. Nicht zuletzt sollte oberstes Gebot sein, dass Eigentümer:innen oder Nutzende bei Bauprojekten schon in der Planungsphase 0 ihre nichtmonetären Projektziele wie zum Beispiel Umweltbildung, Grundwasserschutz oder Erlebbarkeit und Identifikation definieren. Anschließend sollten sie die passenden Maßnahmen aussuchen, die diese Ziele wirklich bedienen. Erst dann entsteht ein sinnvolles Konzept zur Regenwasserbewirtschaftung.

Wie lässt sich dieser Ansatz in Berlin und über die Stadtgrenzen hinaus erfolgreich in die Praxis überführen?

Das Wichtigste ist Kommunikation und Wissenstransfer. Anhand bereits realisierter Beispiele können wir Vorgänge besser erklären – und auch gezielter auf Fehlerquellen hinweisen. So lassen sich auch Probleme frühzeitig vermeiden: von der zu kleinen Pumpe oder dem falschen Messsensor bis zur Schädlingsbekämpfung. Umso wichtiger ist neben einer transparenten Kommunikation, dass alle Beteiligten noch stärker Hand in Hand arbeiten.

 

Der zunehmende Fachtourismus zeigt uns, dass Berlin durchaus Vorbildfunktion hat. Ökologisches Bauen und vor allem das Thema Regenwasser sind nicht nur in China und Japan von großem Interesse. Unsere Wanderausstellung zu ökologischen Gebäudekonzepten und der ökologische Stadtplan haben sich als gute Instrumente zum Wissenstransfer erwiesen.

 

 

Vielen Dank für das Gespräch!

Gut kommuniziert: Ökologischer Stadtplan und Wanderausstellung

Vom Olympiastadion über den Potsdamer Platz bis hin zu ganzen Wohnquartieren: Erste ausgewählte stadtökologische Projekte präsentiert die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen online und als informativen Reader. Jedes Projekt wird durch einen eigenen Steckbrief anschaulich dargestellt. Weitere Beispiele sollen folgen.

Ausgewählte Projekte und Forschungsvorhaben werden auch bei der Wanderausstellung »Berlin baut Zukunft – Ökologische Gebäudekonzepte« präsentiert. Die aktuell 18 Tafeln lassen sich auch hochaufgelöst herunterladen. Das Themenspektrum reicht von der Dach- und Fassadenbegrünung über gebäudegebundene Landwirtschaft bis hin zu Ergebnissen aus aktuellen Vorhaben im Rahmen der Forschung.